„Wir werden jung sein“, das neueste Buch von Maxim Leo, 2024 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, landete bei meinem letzten Besuch in der Stadtbibliothek in meinem Körbchen. Allein schon Titel und Cover haben mich angezogen und, naja, dann stand auch noch Spiegel Bestseller Autor drauf, und so kam es, dass dieser Roman zu Hause auf dem Bücherstapel ganz oben lag.
Es geht um die zufällige Entdeckung eines verjüngenden Medikaments und natürlich die Fragen nach der Ethik und nach dem Sinn des menschlichen Lebens/ Alterns/Sterbens, die damit einhergehen. Maxim Leo gelingt es, all dies kunstvoll in einer wirklich spannenden und berührenden Geschichte mit immer neuen Twists zu verpacken, sodass ich bis zur letzten Seite gefesselt war.
Mir gefällt der unprätentiöse, journalistisch geschulte Schreibstil (da sieht man es wieder: Schreiben hilft beim Schreibenlernen), der dennoch unglaublich einfühlsam ist und mit der richtigen Dosis Humor Leichtigkeit schafft. Ich bewundere auch die Recherchearbeit des Autors, die sowohl die Details zur medizinischen Forschung als auch die politischen Verwicklungen absolut nachvollziehbar erscheinen lassen.
Was geschieht mit einem, wenn man plötzlich nicht mehr altert? Welche ungeahnten Möglichkeiten ergeben sich? Aber auch: Welche Probleme tauchen auf? Für einen selbst? Für die menschliche Gesellschaft? Wo liegt die Verantwortung der Wissenschaft? Wohin entwickelt sich die Menschheit in ihrem Optimierungswahn? Wie würde ich selbst mich entscheiden? Leo zeigt die Varianten dieses Dilemmas lebensnah anhand der unterschiedlichen betroffenen Personen, allesamt mit großem Identifikationspotential. Wir tauchen tief ein das Schicksal einer jeden Figur, meisterlich gelöst durch Handlungsschnipsel im Wechsel mit der Innenschau. Mich begeistert, wie sehr sich Leo in diese so unterschiedlichen Figuren einfühlt, sodass ihre Konflikte absolut authentisch wirken. Es wird nicht zu viel und nicht zu wenig erzählt, sodass ich als Leserin immer am Haken bleibe. Dazu trägt auch die Struktur des Romans bei: relativ kurze, aber sehr aussagekräftige Kapitel über jede Figur markieren die verschiedenen Handlungsstränge, die später miteinander verknüpft werden, was wiederum neue Konflikte und Entwicklungen ermöglicht.
Ich war erstaunt, wie viel Leo in dieses kurze Buch (300 Seiten) packen konnte, ohne dass es überladen wirkt: Coming of Age, Romantik, Familiendrama, Gesellschaftsdrama, ein bisschen Krimi, ein bisschen Politthriller, ganz viel Nachdenken über das Leben. Und Letzteres so schön formuliert, dass ich einen halben Klebezettelblock verbraucht habe, um Lieblingsstellen zu markieren. Hier eine davon:
„Zudem glaubte Miriam daran, dass einem Traum nichts Schlimmeres passieren konnte, als eines Tages Wirklichkeit zu werden. Der Mensch hatte schon immer vom ewigen Leben geträumt, in seiner Angst vor dem Tod hatte er sich Götter geschaffen, die ihn vor dem Unausweichlichen bewahren sollten. Aber hatte nicht der wahre Trost darin bestanden, die Unendlichkeit ins Später zu verlegen? Ein Später, das luftig und vage genug blieb, um die Sehnsucht zu befeuern?“
Entgegen anderer kritischer Stimmen stört mich überhaupt nicht, dass vieles nur angeschnitten und „nicht zu Ende gedacht“ wird, da es mir Raum für eigene Gedanken gibt und man manches einfach auch nicht zu Ende denken kann oder sollte.
Alles in allem ein großes Buch über ein aktuelles brisantes Thema. Absolute Leseempfehlung.
Zum Schreibenlernen unter anderem über:
- Wie baue ich Nähe zu den Figuren auf?
- Wie verteile ich die Informationen?
- Wie zeige ich die Konflikte der Figuren (Show, don’t tell)?
- Wie spiegele ich ein Thema und seine verschiedenen Aspekte in den einzelnen Figuren?